Garage oder Grundschule? Zur sozialen Realität der Garagenhöfe

Ein Gastbeitrag von Thomas Schmidt-Lux

Den ostdeutschen Garagenhöfen begegnet man derzeit nicht nur in ihrer gebauten Materialität. Auch in medialen Berichten sind sie en vogue, nicht zuletzt durch die prominente Position des #3000garagen-Projekts in der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz. Dort finden nun in den Garagen Konzerte und ähnliches statt, und auf dem zugehörigen Instagram-Account stellen Besitzer:innen sich selbst und ihre Garagengeschichten vor. Das ist alles interessant, manchmal ein wenig romantisierend, in jedem Fall aber die Garagen anerkennend. Ganz anders gelagert sind bereits seit einigen Jahren Diskussionen in der Leipziger Stadtgesellschaft. Hier stehen an verschiedenen Stellen die Garagen zur Disposition und sollen abgerissen werden. Die Flächen werden gebraucht für neue Schulbauten, Kindergärten und ähnliche öffentliche Einrichtungen, die in der schnell wachsenden Stadt nötig sind, wobei zugleich kommunale Bauflächen rar geworden sind.

Diese Prozesse verlaufen nun keineswegs geräuschlos und haben insbesondere in den letzten Jahren zu teilweise heftigen Konflikten geführt. Neben dem Verweis auf knappe Stellplätze wird seitens der Garagenvereine und ihrer Unterstützer:innen immer wieder auch das Argument ins Feld geführt, dass die Garagenhöfe eine besondere soziale Bedeutung hätten. Die Garagenhöfe seien „besondere, gewachsene Sozialräume“, so die LINKE im Februar 2022,[1] oder „Die Garagen seien […] ein sozialer Treffpunkt“, so ebenfalls im Jahr 2022 ein Mockauer Garagenbesitzer in der LVZ.[2] Selbst der Leipziger Bürgermeister Dienberg griff dann, gewissermaßen als Signal des Verstehens, diese These auf: „Uns ist bewusst, dass in den Garagen nicht einfach nur Autos stehen“, und: „Sie sind soziale Orte, an denen sich die Menschen treffen.“[3]

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Finissage der Garagen-Ausstellung in Erfurt

Mit einem Garagenfest am 15. März 2025 geht die Ausstellung „Garagen | Geschichten. Erkundungen eines Alltagsortes“ im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt zu Ende, die im September 2024 ihre Eröffnung gefeiert hatte. Ab 11 Uhr bietet das Museum noch einmal ein vielseitiges Programm. Ira Spieker und Katharina Schuchardt vom ISGV, die die Ausstellung mitkuratiert haben, führen noch einmal durch die Sonderschau. Die Well Blech Big Band der Musikschule Erfurt spielt und der preisgekrönte Film „Garagenvolk“ (2020) von Natalija Yefimkina wird zu sehen sein.

Herzliche Einladung auch vom Garagenteam des ISGV!

„Fundstück des Monats“ zu Garagen

Katharina Schuchardt bei der Arbeit am Garagenprojekt, Foto: I. Spieker

Jeden Monat gibt das ISGV mit dem „Fundstück des Monats“ Einblicke in seine Forschungsarbeit und beleuchtet seine Sammlungen und Themen. Im aktuellen Fundstück des Monats Februar gibt Katharina Schuchardt einen kurzweiligen Überblick über das Thema und erläutert, was Garagen als übersehene Alltagsorte so interessant macht.

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Garages: Storing the American Dream

Ein Gastbeitrag von Hannah Burnham

No middle-class house in American suburbia is complete without a garage that can host at least one car. Garages are romantic, idealized destinations where the American Dream comes true and people of all ages become billionaires and rock-stars. The American garage lends itself to being a point of creativity for these groups, becoming the birthplace of Apple and Disney, as well as grunge bands like Nirvana and the Ramones. However, like all aspects of the American dream, its realization is reserved for those above a certain socio-economic status. The level to which one has acquired the American dream can be seen by the size and extravagance of one’s garage. In a neighborhood in Northern Utah, house prices rise from the bottom of a hill – where many of the houses do not even have a garage – to the houses with 3-car garages. This is typical of this neighborhood, as it is growing rapidly as a destination for many wealthy families and retirees building their dream homes further up the mountain. According to RedFin, house prices in North Ogden are around $570,000, while houses in Central Ogden are around $405,000. This contrast can be seen from the presence and size of garages in a spatial map.

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„Crank Garage“ – Eine Kurbel-Garage als Möglichkeitsraum

von Antje Reppe

Garagen sind Einstellräume für Kraftfahrzeuge, so der Konsens sprachwissenschaftlicher und juristischer Begriffserklärungen. Wie viel mehr sie noch sein können – Lost Place und „Dunkelkammer“, kreativer Freiraum, Orte des sozialen Miteinanders, sogar „Flaggschiff-Projekt“ einer europäischen Kulturhauptstadt –, verraten unter anderem Garagengeschichten: auf diesem Blog, in der Ausstellung im Museum für Thüringer Volkskunde und diversen anderen Formaten in den Sozialen Medien. Sensibilisiert durch die Beschäftigung mit Garagen im ISGV und vielleicht auch ein wenig selbst vom „Garagenfieber“ infiziert, sammelte auch ich in den letzten Wochen Impressionen von Garagen.

Garagen als Möglichkeitsraum1 – Ein Fallbeispiel

Auf meinem Arbeitsweg fiel mir auf, wie an einem Garagenkomplex in der Marienberger Straße in Dresden ein Graffiti entstand. Als ich dieses das erste Mal fotografierte, war es schon fast fertiggestellt.

Abb. 1: Das Graffiti im Entstehen, Foto: Antje Reppe
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Garagen im hohen Norden, ein überkommenes Modell? Das Beispiel Finnland

Von Claudia Dietze

Sozialforscher:innen und Stadtplaner:innen postulieren seit einiger Zeit eine Trendwende hin zu einer Verflechtung von Verkehrsbeziehungen oder zum „shared space“ – und weg von der „autogerechten Stadt“, auch wenn diese in den Städten und Metropolen noch sehr real existiert. Die Abkehr vom motorisierten Individualverkehr und die Hinwendung zum nicht-motorisierten bzw. einer breiteren Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs führt zunehmend dazu, dass „automobilisierte Infrastruktur“1 abgerissen wird. Ein Schicksal, das vor allem Garagenhöfe und Einzelgaragen trifft. Doch während hierzulande beispielsweise Reihengaragen aus DDR-Zeiten abgerissen werden, sind sie in Finnland noch immer präsent. Es kommen auch noch neue dazu. Denn ein so dünn besiedeltes Land, das auf einer Fläche so groß wie Deutschland gerade einmal 5,5 Millionen Einwohner zählt, bietet genügend Platz für die im Finnischen autotallit genannten Garagen, und die langen Winter rechtfertigen ihren Gebrauch.

In den ländlichen Regionen Finnlands verfügt jedes Grundstück über einen Unterstand oder eine Garage. In Großstädten wie Turku, Tampere, Vantaa, Espoo und Helsinki bieten Großgaragen, wie die architektonisch ansprechenden Parkhäuser, vielen PKW Platz.

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Einige Eindrücke von der Ausstellung „Garagen|Geschichten. Erkundungen eines Alltagsortes“ im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt

Ein Gastbeitrag von Leah Bonvin

Nach einem Jahr Zusammenarbeit zwischen dem Seminar für Kulturanthropologie/Kulturgeschichte der Universität Jena, dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden und dem Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt ist die Ausstellung „Garagen|Geschichten. Erkundungen eines Alltagsortes“ seit zwei Monaten zu sehen.

Ausstellungseröffnung im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt, 6. September 2024, Auftritt der Well Blech Big Band Erfurt, Foto: Siegbert Kuhs
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Tankstelle – Garage – Spielzeug

Ein Gastbeitrag von Svenja Gierse

In der Sammlung des Kulturhistorischen Museums Rostock findet sich unter der Nummer L 1419 eine Spielzeug-Tankstelle und -Garage. Der in großen Lettern an der Seite prangende Schriftzug „MINOL“ hilft, das Objekt zeitlich einzuordnen: Da der VEB Kombinat Minol 1956 gegründet wurde, kann das Spielzeug erst danach entstanden sein, wir schätzen um 1960. Sie wirkt auf den ersten Blick wie ein Eigenbau. Im Internet sind viele sehr ähnliche Modelle zu finden, insbesondere der Schriftzug mit seiner charakteristischen, schablonierten Form und seiner immer gleichen Farbe fällt auf. Jedoch gibt es kein zweites, baugleiches Objekt; jedes Modell ist individuell. Eine Massenfertigung lässt sich nicht erkennen. Im Gegenteil: Häufig wirkt es, als hätte man als Bodenplatte irgendein zufällig vorhandenes Stück Holz genommen. Unter dem Boden unseres Objektes findet sich dennoch ein Stempel, der den Hersteller mit Emil Neubert, Holzspielwarenfabrik ausweist. Emil Neubert hatte wohl bereits 1870 eine kleine Fabrikation in Marienberg in Sachsen gegründet,1 in dem gleichen Ort, in dem auch die bekanntere Auhagen GmbH (zunächst VEB Mamos, später VEB VERO) ihren Sitz hat.2 Es ist zu vermuten, dass unser Stück als Modellbausatz auf den Markt kam, was ein Grund dafür sein könnte, dass sich die vorhandenen Vergleichsobjekte nie vollständig ähneln. Das Spielzeug ist elektrifiziert.

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