„Flipsy“ aus Berlin

Eine Garagengeschichte aus dem Sorbischen Institut in Bautzen von Theresa Jacobs und Ines Keller

Im Hinterhof des Sorbischen Instituts in Bautzen, auf der Bahnhofstraße 6, befindet sich eine Garage. Hinter dem imposanten Vorderhaus, einer Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Villa mit kleiner zu Straße hin ragenden Grünfläche und dem sich dahinter befindlichen neueren Anbau aus den 1980er Jahren sowie dem Parkplatz des Hauses schließt sich ein Park an. Es handelt sich um einen der ältesten erhaltenen Villen-Gärten Bautzens mit einer Wildblumenwiese, vielen Laubbäumen, Staudenbeeten und einem Pavillon auf einer künstlichen Anhöhe. Der sogenannte Britze-Garten ist nach der Bautzener Malerin Marianne Britze (1883-1980) benannt, die jahrelang das Gebäude bewohnte, und steht unter Denkmalschutz. Marianne Britze lebte bis zum Schluss im Dachgeschoss, auch dann noch, als bereits Räumlichkeiten für die sorabistische Forschung im Haus genutzt wurden.


Angelehnt an der Steinmauer zum Nachbargrundstück wurde vermutlich ebenfalls in den 1980er Jahren eine graue Betongarage mit braunem Holztor errichtet, die heute vor allem als Stell- und Lagerfläche für Fahrräder, Gartenbänke und Gerätschaften dient. Sie wirkt wie ein Störfaktor im architektonischen, gartenbaulichen Ensemble, fällt aber wegen ihrer Schlichtheit kaum auf. Die MitarbeiterInnen kommen recht selten mit der Garage in Berührung. Nur wenige wissen nämlich, dass der Haustürschlüssel auch die Garage öffnen kann. Der Hausmeister des Instituts tritt zum Räumen und Verstauen häufiger ein und aus. Die weitere Nutzung erfolgt nur noch durch Mitglieder des Bautzner Kunstvereins, die die Betreuung des Gartens innehaben. So weit, so unspektakulär.


Spannender jedoch sind die damit verbundenen erinnerten Geschichten. Ältere und ehemalige KollegInnen berichten, dass hier seinerzeit der Dienstwagen des Instituts für sorbische Volksforschung (1951-1991), der Vorgängereinrichtung des heutigen Sorbischen Instituts, geparkt wurde. Einer dieser Dienstwägen, der in der Garage geparkt wurde, war ein schwarzer Wolga. Er stand zur Verfügung, um beispielweise den Institutsdirektor zu Dienstgesprächen zur Akademie der Wissenschaften nach Berlin zu fahren. Es wird erzählt, dass dabei auf der Hinterbank des Autos viel geraucht und getrunken wurde. Auch WissenschaftlerInnen wurden mit selbigem zu Dienstreisen ins Ausland gebracht und auch Institutsgäste wurden zwischen Unterkunft und Haus hin und her gefahren. Dafür stand eigens ein Chauffeur zur Verfügung, der am Institut angestellt war. Bekannt sind unter anderem Max Kunze und Paul Müller.

Garage mit angrenzendem Park, Foto: Th. Jacobs / I. Keller 2024

Der Dienstwagen wurde jedoch auch darüber hinaus vielfältig genutzt, wobei dienstliches und privates nicht selten „kombiniert“ wurde. Eine junge Institutskollegin, die in einem sorbischen Dorf bei Bautzen wohnt, hatte im Jahr 1978 eine Tochter geboren. Eines Tages stellte sich heraus, dass das Kleinkind so krank war, dass es im Bautzener Krankenhaus behandelt werden musste. Die junge Familie besaß aber, so wie es damals üblich war, keinen eigenen PKW. Der damalige Institutsdirektor Prof. Dr. Paul Nowotny veranlasste deshalb kurzerhand, die junge Kollegin mit Kind im Dienstwagen ins Krankenhaus fahren zu lassen. Als ihre Tochter nach wochenlanger Behandlung wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, wurden beide mit dem Dienstwagen wieder zurück nach Hause gebracht. Die Familie ist bis heute dankbar dafür und erzählt die Geschichte in Familienkreisen immer wieder gerne.
„Mehrfach“ wurden auch die Dienstreisen des Institutsdirektors nach Berlin genutzt. So erhielt der Chauffeur regelmäßig eine Liste von den Kolleginnen des sogenannten technischen Personals. Aufgelistet waren Produkte, die er während seiner Wartezeit in der Hauptstadt besorgen sollte, weil es sie im Rest der Republik nicht zu kaufen gab. Dabei handelte es sich unter anderem um Bananen, Apfelsinen oder die beliebten Erdnussflips – die „flipsy“.
Mit der politischen Wende und der Gründung des Sorbischen Instituts 1992 geriet der Dienstwagen des Instituts und die dazugehörige Garage in Vergessenheit. 2023 bemühten sich InstitutskollegInnen mit ihrer Initiative „Grünes Institut“ um die Anschaffung eines Lastenrads, um nachhaltig zwischen den sorbischen Institutionen unterwegs sein zu können oder Materialien zu transportieren. Ein entsprechender Antrag auf Förderung wurde leider abgelehnt. Ein solches Rad hätte der alten Garage gut zu Gesicht gestanden und hätte ihr aus ihrem Schlummerzustand heraus wieder eine neue Bedeutung verliehen.

Blick in die Garage, Foto: Th. Jacobs / I. Keller 2024


Dienstwagen hingegen gibt es bis heute, sie werden aber mittlerweile zentral über die Stiftung für das sorbische Volk in Bautzen angeschafft, koordiniert und stehen den MitarbeiterInnen sorbischer Institutionen nach vorheriger Anmeldung zur Verfügung. Sie parken in einem alten Garagenkomplex im Innenhof des Hauses der Sorben auf dem Postplatz. Sogar eine eigens dafür angelegte Waschanlage soll es dort geben. Aber das ist eine andere Garagengeschichte.


Dr. Theresa Jacobs und Dr. Ines Keller sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der kulturwissenschaftlichen Abteilung des Serbski institut | Sorbischen Instituts in Bautzen. Aktuell beschäftigen sie sich u.a. mit Fragen des Umgangs mit kulturellem Erbe bei den Sorben.


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