Tankstelle – Garage – Spielzeug

Ein Gastbeitrag von Svenja Gierse

In der Sammlung des Kulturhistorischen Museums Rostock findet sich unter der Nummer L 1419 eine Spielzeug-Tankstelle und -Garage. Der in großen Lettern an der Seite prangende Schriftzug „MINOL“ hilft, das Objekt zeitlich einzuordnen: Da der VEB Kombinat Minol 1956 gegründet wurde, kann das Spielzeug erst danach entstanden sein, wir schätzen um 1960. Sie wirkt auf den ersten Blick wie ein Eigenbau. Im Internet sind viele sehr ähnliche Modelle zu finden, insbesondere der Schriftzug mit seiner charakteristischen, schablonierten Form und seiner immer gleichen Farbe fällt auf. Jedoch gibt es kein zweites, baugleiches Objekt; jedes Modell ist individuell. Eine Massenfertigung lässt sich nicht erkennen. Im Gegenteil: Häufig wirkt es, als hätte man als Bodenplatte irgendein zufällig vorhandenes Stück Holz genommen. Unter dem Boden unseres Objektes findet sich dennoch ein Stempel, der den Hersteller mit Emil Neubert, Holzspielwarenfabrik ausweist. Emil Neubert hatte wohl bereits 1870 eine kleine Fabrikation in Marienberg in Sachsen gegründet,1 in dem gleichen Ort, in dem auch die bekanntere Auhagen GmbH (zunächst VEB Mamos, später VEB VERO) ihren Sitz hat.2 Es ist zu vermuten, dass unser Stück als Modellbausatz auf den Markt kam, was ein Grund dafür sein könnte, dass sich die vorhandenen Vergleichsobjekte nie vollständig ähneln. Das Spielzeug ist elektrifiziert.

Ein wenig in die Jahre gekommen wirkt die Spielzeug-Tankstelle und -Garage, es gibt kleinere Fehlstellen. Sie ist bespielt worden und hat entsprechende Abnutzungserscheinungen. Der wasserlösliche weiße Anstrich und die rote Schrift wurden vermutlich bei früheren Reinigungsbemühungen verwischt. Aber etwas anderes irritiert uns heute bei ihrem Anblick: Es ist die Verbindung von Garage und Tankstelle, die sich nicht sofort mit unserer heutigen Assoziation von Garage überein bringen lässt. Diese Assoziation sieht die Garage als einen geschützten, vierseitig umschlossenen sowie überdachten Raum zum Abstellen von Kraftfahrzeugen (oder jeder Menge anderer gesammelter Schätze). In jedem Fall aber ist die Garage in einer ersten Gedankenverknüpfung privat genutzt und weniger ein Ort, an dem kommerziell gearbeitet wird. Zwar wird dort geschraubt und gebaut – aber immer in einem privaten (oder zumindest vor dem Finanzamt verborgenen) Rahmen. Tankstelle und Autowerkstatt jedoch funktionieren auch heute noch als Einheit. Ob mit der Garage im Fall unseres Spielzeugs eigentlich eine Autowerkstatt gemeint war, können wir aus aktueller Sicht nicht klären. Zumindest im Englischen wird das Wort garage ja durchaus synonym zur Autowerkstatt genutzt.

Die Garage im Sinne unserer Assoziation und die Tankstelle aber gingen in Rostock in der Vergangenheit durchaus eine enge Verbindung ein und dürften für die Kinder um 1960 keine ungewöhnliche Kombination gewesen sein, kannten sie doch solche Einrichtungen aus dem Stadtbild.

In Rostock existieren heute noch die Reste einer sehr frühen Kombination von Garage(n) und Tankstelle: Im Jahr 1922 eröffnete der Kaufmann Otto Weltzien im Hinterhof der Augustenstraße 44 eine Tankstelle mit großem Garagenkomplex. Bis 1929 baute er das Unternehmen stark aus, bot zahlreiche Dienstleistungen rund um das Kraftfahrzeug an.3

Die Tankstelle ist wohl bereits in den 1930er-Jahren außer Betrieb genommen worden. Die Garagen allerdings werden bis heute weiter genutzt. Nur das Shell-Zeichen an den Garagentüren, ein Überbleibsel aus der Gründungszeit des Unternehmens, wurde in der DDR übermalt. Heute ist das mitten in der Steintorvorstadt gelegene Ensemble aus Tankstelle und Garagenkomplex denkmalgeschützt. Ihre aufwendig gestalteten Treppengiebel und Terrazzoböden sind typisch für die Entstehungszeit und damit denkmalwürdig.4


Svenja Gierse ist seit 2023 Kuratorin für die Alltagskulturellen Sammlungen am Kulturhistorischen Museum Rostock. Zuvor war sie stellvertretende Leiterin des Regionalmuseums Neubrandenburg und Leiterin der Museumsfachstelle des Museumsverbandes in Mecklenburg-Vorpommern e. V. Sie studierte Europäische Ethnologie/Volkskunde, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit sowie Allgemeine Pädagogik an der Universität Bamberg.


  1. Auskunft des Archivs Spielzeugmuseum Kurort Seiffen. ↩︎
  2. https://auhagen.de/ueber-auhagen/das-unternehmen (abgerufen am 12.07.2024). ↩︎
  3. Stutz, Reno; Loeper, Ulrich: 77x Rostock. Was man nicht verpassen darf. Rostock 2016. S. 56. ↩︎
  4. Auskunft des Archivs des Amtes für Denkmalpflege der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. ↩︎

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