Ungesehene Lost Places: Verlassene Garagen

Ein Gastbeitrag von Uta Bretschneider

Von hölzernen Toren blättert graue Farbe, die Teerpappe der Dächer hat Löcher, Gras und Buschwerk wachsen in Zufahrten, Bauschutt wabert von drinnen nach draußen, skelettierte PKW verweisen auf eine Mobilität der Gesternwelt: Einige Garagenkomplexe aus der Zeit der DDR haben ihre Funktion als soziale Orte, als Tu-Orte sowie als Lagerstätten für Fahrzeuge und andere Schätze schon vor Jahren verloren und fristen ein trauriges Dasein als „Lost Places“. Zugleich finden, wie an anderen verlorenen Orten, auch hier Aneignungsprozesse statt, die Spuren hinterlassen: Sprayer:innen arbeiten an den Betonwänden, Menschen entsorgen ihren Müll, Wut wird zu Vandalismus und nicht zuletzt erobert sich auch die Natur die leeren Garagenkomplexe zurück. Längst wachsen Moose, wo einst der Trabant 601 stand, versperren Birken Torflügel, sucht sich Wasser Wege.

Während sich das Urban Exploring, kurz Urbex, immer größerer Beliebtheit erfreut und verlassene Orte erkundet sowie oft fotografisch dokumentiert werden, gehören Garagensiedlungen nicht eben zu den Bildikonen dieses Genres. Gleichförmigkeit und Kleinteiligkeit sind wohl weniger von Interesse als die beeindruckenden Bauten ehemaliger Heilstättenkomplexe, weitläufige Militäranalagen oder die Gebäudehüllen von längst verlassenen Hotels etc. Garagen sind ungesehene Lost Places. Zugleich lassen sich auch in diesen, heute vielfach vermüllten, seriellen DDR-Bauwerken Spuren einstiger Nutzer (es sind Männerwelten, von denen sie erzählen) finden: Poster mit barbusigen Frauen oder erträumten Fahrzeugen, Postkarten ferner Reiseziele, zweitverwendete Teppiche, Wandbretter zur ordentlichen Verstauung von Werkzeugen oder Hakenleisten, an denen einst der Blaumann auf seinen Einsatz wartete… Diese Spuren lassen sich im Sinne des französischen Historikers Nicolas Offenstadt als Quellen fassen. Sie erzählen von einer Zeit, in der diese Garagenwelt, heute Hort der Unordnung, des Mülls und Verfalls, (vermeintlich) noch in Ordnung war. Gerade in der Serialität liegt hierbei der besondere Reiz: Aneignungsprozesse und Individualisierungen der Einförmigkeit in der DDR treffen auf neuerliche Nutzungsspuren seit der Aufgabe ihres eigentlichen Zweckes. Zeitschichten überlagern sich.

Verlassene Garagenkomplexe sind kein Ort der Begegnung. Doch an einem Sommertag 2021 gibt es diesen kurzen Moment: In einer aufgelassenen Garagensiedlung sitzt eine hagere Frau auf einer DDR-Babydecke umgeben von Gräsern und Büschen. Neben ihr zwei dürre Katzen. Eine nennt sie Flöckchen. Die seien hier ausgesetzt worden. Sie kümmere sich. Wenn sie nicht so alt wäre, eröffnete sie einen Gnadenhof. Sie ruft mir hinterher: „Gehen sie nicht so weit, da ist schon mal jemand überfallen worden!“


Dr. Uta Bretschneider ist Kulturwissenschaftlerin und seit 2020 Direktorin des renommierten Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Sie studierte Volkskunde und Kulturgeschichte sowie Soziologie in Jena. 2014 wurde sie an der Universität Jena mit der Arbeit „Vom Ich zum Wir? Flüchtlinge und Vertriebene als Neubauern in der LPG“, die 2016 als Band 53 der ISGV-Schriftenreihe erschien, promoviert. Von 2011 bis 2016 war Uta Bretschneider am ISGV im Bereich Volkskunde/Kulturanthropologie tätig. Danach übernahm sie die Leitung des Hennebergischen Museums Kloster Veßra. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die DDR-Alltagskultur, die Biografieforschung und die Geschichte des ländlichen Raumes.


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