Echoes of the East

Ein Gastbeitrag von Leah Bonvin


Was haben ostdeutsche Garagenhöfe eigentlich mit dem zu tun, was das Programm der Kulturhauptstadt Chemnitz2025 Eastern State of Mind1 nennt? Dieser Frage bin ich in meiner Masterarbeit im Rahmen des Studiengangs Critical Urbanisms an der Universität Basel nachgegangen. In Zusammenarbeit mit dem Projektteam der #3000Garagen der Kulturhauptstadt untersuchte ich die Chemnitzer Garagenhöfe in Bezug auf den Begriff der Postsozialistischen Stadt. Wenn Chemnitz2025 diese als „Seele des Ostens“ mit einer „Macher-Mentalität“ und einem starken, aus der DDR übernommenen Solidaritätsgefühl beschreibt, so zeigt meine Arbeit eine differenziertere Realität als die idealisierte Darstellung dieses sogenannten Eastern State of Mind.
In meinen Feldbeobachtungen zeigt sich die Ambivalenz der derzeitigen Situation der ostdeutschen Garagen. Einerseits ist die strukturelle Lage der Anlagen fragil: Die Vorstände der Garagengemeinschaften haben große Schwierigkeiten, neue Leute für die Vorstandsarbeit zu begeistern. Parallel zu dieser langen Agonie beklagen die vor Ort angetroffenen Garagennutzer: innen den Verlust nachbarschaftlicher Beziehungen und äußern die Sehnsucht nach einer verloren Sozialität. In mehreren Stadtvierteln in Chemnitz wie auch anderswo in Ostdeutschland werden Garagenhöfe zudem von städtischen Flächenentwicklungskonzepten bedroht; mit wenig Möglichkeiten für die Nutzer:innen dagegen Einspruch einzulegen.

Andererseits hat die die „Garagenkultur“ überlebt und Kontinuitäten zur DDR-Zeit sind erkennbar. Ich beobachtete Praktiken des Schraubens und Restaurierens: In meiner Feldforschung traf ich Trabis, Simson Mopeds und ein Klappfix an. Und auch wenn es in den Garagenhöfe nicht die Norm ist, haben diese Fahrzeuge aufmerksame Besitzer, die sie liebevoll pflegen und reparieren. Manchmal ist diese Garagenkultur einfach nur „umgezogen“. So wird zum Beispiel in der ehemaligen Gläss-Fabrik in Chemnitz gebastelt, gegrillt, es werden Autos repariert…

Garagenhof in Chemnitz-Mitte

Ich konnte an diesem Beispiel sehen, dass der Zustand der Garagen tatsächlich eine Mischung aus Kontinuitäten und Anti-Kontinuitäten zur sozialistischen Ära ist, was nach Ansicht des Stadtforschers Tauri Tuvikene den Postsozialismus definiert.2 Ein gutes Beispiel für eine postsozialistische Figur ist der „Macher“, der im Mittelpunkt des Programms von Chemnitz2025 steht (in den 90 Seiten des Bid Book von Chemnitz2025 wird das Wort „Macher“ und seine Ableitungen wie „Macher-Zentrum“ und „Macher-Mentalität“ mehr als 500 Mal verwendet). Im Bid Book steht: „[Chemnitz2025] krempel[t] Chemnitz zu einem riesigen Macher-Zentrum um, in dem 3000 Garagen zu individuellen Werkstätten für die persönliche Begegnung bereitstehen.3 Für Chemnitz2025 ergibt es Sinn, die Stadt in einen riesigen Makerhub zu verwandeln, da alle Einwohner potenzielle Macher: innen sind. Weiter heißt es:
Wobei „Osten“ nicht nur eine geographische Kompass-Richtung beschreibt, es ist auch eine kulturelle Prägung von Biographien der Menschen. Es charakterisiert zudem die Stadt, ihre Politik, Architektur und Kunst. Es hat die pragmatische Do-it-yourself- und Macher-Mentalität seiner Bürger geformt, ihre entwaffnende Ehrlichkeit und die Tugend, in schweren Zeiten eng zusammenzuhalten.4

Blick auf Garagentore in Chemnitz-Mitte

Interessant ist, dass Chemnitz2025 hier die Figur des Makers mit dem Normalbürger aus DDR-Zeiten verbindet. Dennoch wurde der Maker in der Literatur als eine Schlüsselfigur des Kapitalismus untersucht. Der Stadtforscher Steve Marotta zum Beispiel erinnert uns daran, dass die Maker-Bewegung vor allem ein Weg ist, Krisen zu überwinden.5 In einer Welt der wirtschaftlichen Unsicherheit, die von kapitalistischen Unternehmen dominiert wird, versuchen die Maker, sich einen Platz zu schaffen und die Auswirkungen der Krise auf ihr tägliches Leben zu mildern, ohne das gesamte System zu stören. Die Macher-Identität scheint also mehr mit gesellschaftlichen Brüchen, seien sie sozialistisch oder kapitalistisch, zu tun zu haben als mit einem idealisierten Eastern State of Mind.

Alle Fotos: Leah Bonvin


Leah Bonvin hat Anthropologie und kritische Stadtforschung an den Schweizer Universitäten Neuchâtel und Basel studiert. Sie interessiert sich besonders für Alltagslandschaften und Fragen des kulturellen Erbes in postsozialistischen Kontexten. Ihre Masterarbeit „Echoes of the East: Unearthing (Post)Socialist Heritage in Chemnitz‘ Garages“ ist das Ergebnis einer mehrmonatigen Recherche in Chemnitz. 


  1. Bid Book der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz2025, S. 38 (28.05.2024) ↩︎
  2. Tauri Tuvikene (2016), Strategies for Comparative Urbanism: Post-Socialism as a De-Territorialized Concept, in: International Journal of Urban and Regional Research 40 (1), S. 132–46; DOI : https://doi.org/10.1111/1468-2427.12333 (28.05.2024). ↩︎
  3. Bid Book der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz2025, S. 39 (28.05.2024) ↩︎
  4. Ebd., S. 38. ↩︎
  5. Steve Marotta (2021), Making Sense of “Maker”: Work, Identity, and Affect in the Maker Movement, in: Environment and Planning A: Economy and Space 53 (4), S. 638–654; DOI: https://doi.org/10.1177/0308518X20964839 (28.05.2024) ↩︎

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